Dieser Kurstext ist ein Auszug aus unserem Onlinekurs: TM1 – Statik
In dieser Lektion befassen wir uns mit den Schnittgrößen am Balken.
Wirken äußeren Kräfte auf einen Balken, so entstehen auch im Inneren des Balkens Kräfte. Diese inneren Kräfte werden als Schnittgrößen bezeichnet und beschreiben die Wirkung von äußeren Kräften und Momenten im Inneren des Balkens.
Um diese inneren Kräfte berechnen zu können, wird ein gedanklicher Schnitt durch den Balken durchgeführt. Durch diesen gedanklichen Schnitt werden die Schnittgrößen am linken und rechten Teilbalken freigelegt.
Schnittgrößen und Schnittufer
Es treten insgesamt drei Schnittgrößen auf:
- Normalkraft N,
- Querkraft Q und
- Biegemoment M.
Betrachten wir einen Balken und führen einen gedanklichen Schnitt durch den Balken durch, so ergibt sich ein linkes Schnittufer und ein rechtes Schnittufer:
Am linken Schnittufer zeigt die Querkraft Q nach unten, die Normalkraft N nach rechts und das Moment M ist ein Linksdrehendes. Am rechten Schnittufer werden die Schnittgrößen genau entgegengesetzt abgetragen.
Infolge des Wechselwirkungsprinzips (3. Newtonsches Gesetz) müssen an beiden Schnittufern die Schnittgrößen betragsmäßig übereinstimmen, wirken aber genau entgegengesetzt zueinander.
Statt Schnittfläche wird in den meisten Fällen von Schnittufer gesprochen.
Die Trennung des Balkens erfolgt natürlich gedanklich, um die Schnittgrößen berechnen zu können.
Video: Linkes und rechtes Schnittufer
Damit sich der Balken weder verformt noch knickt müssen die inneren Kräfte (Schnittgrößen) den äußeren Kräften standhalten. Damit herrscht ein Gleichgewicht zwischen den inneren und äußeren Kräften und wir können zur Berechnung der Schnittgrößen die Gleichgewichtsbedingungen anwenden.
Schauen wir uns zum Verständnis mal ein einfaches Beispiel an.
Beispiel: Schnittgrößen berechnen
Gegeben sei der obige Balken, auf welche eine äußere Kraft F = 3 kN mittig mit einem Winkel von 30° zur Horizontalen angreift.
Bestimme die Schnittgrößen im gesamten Balken!
1. Kräftezerlegung durchführen:
Zunächst führen wir eine Kräftezerlegung durch. Die Kraft wird mit dem Kosinus in x-Richtung und mit dem Sinus in y-Richtung zerlegt:
2. Auflagerkräfte berechnen:
Als nächstes berechnen wir die Auflagerkräfte mittels der drei Gleichgewichtsbedingungen.
Gleichgewichtsbedingung in x-Richtung:
Gleichgewichtsbedingung in y-Richtung:
Wir haben hier zwei unbekannte Kräfte gegeben, somit müssen wir hier zunächst die Momentengleichgewichtsbedingung aufstellen.
Momentengleichgewichtsbedingung (Bezugspunkt in A):
Aus der vertikalen Gleichgewichtsbedingung können wir als nächstes die Auflagerkraft A berechnen:
3. Schnittgrößen bestimmen
Zur Bestimmung der Schnittgrößen müssen wir Schnitte durch den Balken durchführen. Dazu müssen wir die Schnitte so durchführen, dass zwischen den äußeren Kräfte (Auflagerkräfte, äußere Lasten) geschnitten wird. Für unser Beispiel muss zwischen dem Auflager A und der äußeren Kraft F sowie zwischen der Kraft F und dem Auflager B geschnitten werden.
Die äußere Kraft F führt dazu, dass sich die Schnittgrößen im Balken ändern. Schauen wir uns dazu die beiden Schnitte an:
Wir können zur Berechnung der Schnittgrößen das linke oder das rechte Schnittufer betrachten. Beide Möglichkeiten führen zum selben Ergebnis. Für welches Schnittufer du dich entscheidest, bleibt dir überlassen. Es ist jedoch sinnvoll immer das Schnittufer zu wählen, an welchem weniger Kräfte angreifen, damit sich der Berechnungsaufwand verringert.
Bevor wir mit der Berechnung beginnen, legen wir zunächst eine x-Achse an den Balkenanfang. Diese x-Achse wird immer bis zum Schnitt eingezeichnet.
Der erste Schnitt wird zwischen 0 und 1,5 m durchgeführt. Wir betrachten das linke Schnittufer und tragen die Schnittgrößen ab.
1.Schnitt (0 ≤ x ≤ 1,5m)
Zur Berechnung der Schnittgrößen wenden wir die Gleichgewichtsbedingungen an.
Gleichgewichtsbedingung in x-Richtung
Aus der Gleichgewichtsbedingung in x-Richtung können wir die Normalkraft N1 berechnen:
Gleichgewichtsbedingung in x-Richtung
Aus der Gleichgewichtsbedingung in y-Richtung können wir die Querkraft Q1 berechnen:
Momentengleichgewichtsbedingung
Aus der Momentengleichgewichtsbedingung können wir das Biegemoment M1 berechnen. Der Bezugspunkt liegt dabei immer im Schnitt:
Zusammengefasst ergeben sich die folgenden Schnittgrößen für den 1. Bereich:
2.Schnitt (1,5m ≤ x ≤ 3m)
Wie betrachten auch hier wieder das linke Schnittufer und berechnen die Schnittgrößen mittels Gleichgewichtsbedingungen.
Gleichgewichtsbedingung in x-Richtung
Aus der Gleichgewichtsbedingung in x-Richtung können wir die Normalkraft N2 berechnen:
Gleichgewichtsbedingung in x-Richtung
Aus der Gleichgewichtsbedingung in y-Richtung können wir die Querkraft Q berechnen:
Momentengleichgewichtsbedingung
Aus der Momentengleichgewichtsbedingung können wir das Biegemoment M berechnen. Der Bezugspunkt liegt dabei immer im Schnitt:
Zusammengefasst ergeben sich die folgenden Schnittgrößen für den 2. Bereich:
Wir haben nun alle Schnittgrößen berechnet.
Schnittgrößenverläufe
Die Schnittgrößen können auch grafisch dargestellt werden. Dazu werden diese in ein Koordinatensystem eingezeichnet. Die Schnittgrößen werden auf der y-Achse abgetragen. Die Abmessungen des Balkens auf der x-Achse.
Für das obige Beispiel ergeben sich dann die folgenden Schnittgrößenverläufe:
In den obigen drei Grafiken sind die Schnittgrößenverläufe der drei Schnittgrößen für beide Schnittbereiche zu sehen. Der erste Schnittbereich beginnt im Koordinatenursprung und geht bis x = 1,5 (Kraftangriff von F). Der zweite Schnittbereich von x = 1,5m bis x = 3m.
Die Normalkraft N ist im ersten Schnittbereich Null, weil dort keine äußere Kraft angreift. Im zweiten Schnittbereich tritt eine konstante Normalkraft von -2,6 kN auf, weil hier die äußere Kraft Fx angreift (x-Komponente der Kraft F).
Die Querkraft Q ist im ersten Schnittbereich konstant bei 0,75 infolge der dort angreifenden Auflagerkraft und im zweiten Schnittbereich negativ bei -0,75, weil dort zusätzlich zur Auflagerkraft die äußere Kraft Fy angreift, welche der Auflagerkraft entgegenwirkt.
Das Moment M ist im ersten Schnittbereich eine lineare Funktion mit positiver Steigung. Die Auflagerkraft A übt mit zunehmenden x ein Moment auf diesen Schnittbereich aus. Im zweiten Schnittbereich übt zum einen die Auflagerkraft A ein Moment aus, als auch die äußere Kraft Fy. Da beide Momente entgegengesetzt zueinander sind, heben sich diese im Lager B auf.
Festlager und Loslager weisen keine Momente auf, da sie keine Momente übertragen können. Hier ist das Schnittmoment M immer Null.