Die in den vorangegangenen Lerneinheiten gezeigten Formeln zur Ermittlung der Spannungen und Verformungen an Stäben, können auch auf statisch bestimmte Stabwerke mit mehreren Stäben angewendet werden.
Wir gehen dabei davon aus, dass nur infinitesimale Verformungen auftreten, so dass die Längenänderung der Stäbe und damit die Verschiebungen der Stäbe sehr klein sind. Damit können wir die Gleichgewichtsbedingungen am unverformten System aufstellen.
Wir gehen wie folgt vor:
- Zunächst schneiden wir das System frei und tragen die wirkenden Kräfte ab.
- Danach berechnen wir die Stabkräfte aus den Gleichgewichtsbedingungen am unverformten System.
- Wir können dann die Längenänderung der Stäbe aus den berechneten Stabkräften berechnen.
- Die Verschiebungen der Stäbe ermitteln wir zum Schluss grafisch mittels Trigonometrie.
Schauen wir uns mal ein Beispiel zum Stabzweischlag an.
Beispiel: Verschiebung bestimmen (Stabzweischlag)
Gegeben sei der obige Stabzweischlag, an welchem die äußere Kraft F = 900 N angreift. Der Winkel zwischen den beiden Stäben betrage α = 35°, die Länge des Stabes S1 beträgt l = 2m. Die Stäbe besitzen beide eine Querschnittsfläche von A = 80cm² auf. Das Elastizitätsmodul beider Stäbe betrage E = 210.000 N/mm².
a) Bestimme zunächst die Verschiebung des Knotens K1 ohne Zahlenwerte.
b) Berechne dann die Verschiebung mit den gegebenen Zahlenwerten!
Lösung a) Verschiebung des Knotens
Infolge der äußeren Kraft F, die vertikal am Knoten K1 angreift, verschiebt sich dieser. Unsere Aufgabe ist es nun, diese Verschiebung zu berechnen. Dazu schneiden wir das System zunächst am Knoten K1 frei und tragen die dort wirkenden Kräfte ab.
Freischnitt
Wir haben den Knoten K1 freigeschnitten und die beiden Stabkräfte S1 und S2 als Zugkräfte angenommen. Außerdem greift noch die äußere Kraft F am Knoten K1 an. Zur Aufstellung der Gleichgewichtsbedingungen kann man die drei Kräfte in ein Koordinatensystem übernehmen. Zur Aufstellung der Gleichgewichtsbedingung in x-Richtung und in y-Richtung müssen wir alle Kräfte, die in die x,y-Ebene wirken, also einen Winkel zur Horizontalen bzw. Vertikalen aufweisen in x- und y-Komponenten zerlegen.
Für unser Beispiel ist der Stab S2 ein schräger Stab, der in die x,y-Ebene wirkt. Für diesen Stab müssen wir eine Kräftezerlegung vornehmen, um die x- und y-Komponente zu bestimmen:
In der obigen Grafik ist die Kräftezerlegung des Stabs S2 zu sehen. Da der Winkel zur x-Achse gegeben ist, wird die x-Komponente mit dem Kosinus und die y-Komponente mit dem Sinus berechnet. Betrachten wir in der folgenden Grafik alle wirkenden Kräfte im Knoten K1:
Im nächsten Schritt können wir die Gleichgewichtsbedingungen aufstellen, um die unbekannten Stabkräfte S1 und S2 zu berechnen. Diese stellen wir am unverformten System auf, da wir von infinitesimalen Verformungen ausgehen. Das bedeutet, dass wir bei der Aufstellung der Gleichgewichtsbedingungen die Verschiebung des Knotens K1 infolge der äußeren Kraft F zunächst vernachlässigen.
Gleichgewichtsbedingungen am unverformten System
Wir stellen zunächst die Gleichgewichtsbedingung in x-Richtung auf.
Die Summe aller horizontalen Kräfte muss Null ergeben:
Wir betrachten alle horizontalen Kräfte. Alle Kräfte die in Richtung der positiven x-Achse zeigen, werden positiv berücksichtigt. Alle Kräfte, die in negative x-Richtung zeigen, werden negativ berücksichtigt.
Aus dieser Gleichgewichtsbedingung können wir noch keine unbekannte Stabkraft berechnen.
Wir stellen als nächstes die Gleichgewichtsbedingung in y-Richtung auf.
Die Summe aller vertikalen Kräfte muss Null ergeben:
Wir betrachten alle vertikalen Kräfte. Alle Kräfte die in Richtung der positiven y-Achse zeigen, werden positiv berücksichtigt. Alle Kräfte, die in negative y-Richtung zeigen, werden negativ berücksichtigt.
Wir können hier die unbekannte Stabkraft S2 bestimmen, indem wir nach dieser auflösen:
Nachdem wir aus der Gleichgewichtsbedingung in y-Richtung die unbekannte Stabkraft S2 berechnen können (bei gegebenem F), können wir aus der Gleichgewichtsbedingung in x-Richtung die unbekannte Stabkraft S1 berechnen.
Auflösen nach S1:
Einsetzen von S2 aus der Gleichgewichtsbedingung in y-Richtung:
Trigonometrische Umformung:
Und damit:
Mit der trigonometrischen Umformung erhalten wir:
Wir erhalten also die folgenden Stabkräfte:
Druckstab
Zugstab
Der Stab S2 ist ein Druckstab, da er negativ ist. Das bedeutet, dass die von uns zuvor angenommene Richtung (Zugstab) genau entgegengesetzt wirkt. Der Stab S1 ist positiv. Damit ist die von uns angenommene Richtung (Zugstab) korrekt.
Nachdem wir die Stabkräfte berechnet haben, können wir als nächstes die Längenänderung der Stäbe berechnen, die infolge der äußeren Kraft F auftreten.
Längenänderung der Stäbe berechnen
Die Längenänderung eines Stabes können wir aus dem Elastizitätsgesetz für einen Stab (Lerneinheit: Differentialgleichung der Verschiebung) bestimmen:
Da wir hier keine Temperaturunterschiede gegeben haben, gilt :
Zur Bestimmung der Verschiebung u, müssen wir die Gleichung einmal über die Stablänge l integrieren:
Anstelle von treten die Stabkräfte und .
Für den Stab S1 gilt:
Der Stab hat die Länge l1 = l:
Längenänderung Stab S1
Die Längenänderung des Stabes S1 ist positiv. Damit verlängert sich der Stab.
Für den Stab S2 gilt:
Die Länge des Stabs können wir über die Trigonometrie am rechtwinkligen Dreieck berechnen:
Wir können also aus der gegebenen Geometrie die Länge l2 berechnen:
Mit l = l1:
Einsetzen in die Längenänderung des Stabes S2:
Die Längenänderung des Stabs S2 ist negativ. Damit verkürzt sich der Stab.
Verschiebung bestimmen
Wir können als nächstes die Verschiebung des Knotens K1 bestimmen. Dazu zeichnen wir die Längenänderungen ein. Den Stab S1 verlängern wir, den Stab S2 verkürzen wir:
In der obigen Grafik haben wir den Stab S1 verlängert um und den Stab S2 verkürzt um eingezeichnet. Danach haben wir von dem verlängerten Stab S1 und dem verkürzten Stab S2 eine dazu orthogonale Linie (im 90°-Winkel) gezogen. Dort, wo sie sich diese beiden Linien treffen, liegt der neue Knoten K’2, der sich infolge der angreifenden Kraft F ergibt.
Die Längenänderungen wurden innerhalb der Grafik sehr groß eingezeichnet, so dass sich die neue Lage des Knotens K’2 ist in der Grafik sehr weit entfernt vom ursprünglichen Knoten ergibt. Das dient dazu, die Verschiebung besser veranschaulichen können. Die tatsächliche Verschiebung des Knotens ist sehr klein und wäre damit kaum sichtbar. Da wir in einem nächsten Schritt aber die Geometrie benötigen, ist es sinnvoll die Verschiebungen innerhalb der Skizze groß zu wählen.
Wir zeichnen ausgehend von der ursprünglichen Lage des Knotens K1 die horizontale Verschiebung u und die vertikale Verschiebung v ein:
Wir zeichnen die Verschiebung des Knotens K1 nach K1‘ in vertikale Richtung (v) und in horizontale Richtung (u) ein. Wir sehen, dass die horizontale Verschiebung u der Längenänderung Δl1 entspricht:
Horizontale Verschiebung
Die Verschiebung in vertikale Richtung v müssen wir hingegen zunächst berechnen. Das können wir mittels Trigonometrie am rechtwinkligen Dreieck:
Wir haben oben rechts und unten rechts ein rechtwinkliges Dreieck gegeben und kennen den Winkel α, die Längenänderung Δl2 sowie die Verschiebung u = Δl1. Damit können wir die Verschiebung u ganz leicht berechnen, indem wir die Trigonometrie am rechtwinkligen Dreieck für beide Dreiecke anwenden und dann daraus die Verschiebung v berechnen:
Wir sehen die beiden rechtwinkligen Teildreiecke. Wir benötigen beide Dreiecke, um die gesamte Verschiebung u zu berechnen.
1.Teildreieck
Wir berechnen zunächst v1 für das erste Teildreieck. Gegeben haben wir hier den Winkel α sowie die Verschiebung Δl2. v1 ist hier die Hypotenuse, da sie gegenüber vom rechten Winkel liegt. Die gegebene Seite Δl2 ist die Gegenkathete, weil sie gegenüber vom Winkel α liegt. Demnach wählen wir hier den Sinus:
Die Längenänderung wird in Betragsstriche gesetzt, da wir die Längen hier addieren müssen, damit wir die gesamte Verschiebung v ermitteln können.
Wir lösen nach v1 auf:
2. Teildreieck
Wir berechnen v2 für das zweite Teildreieck. Gegeben haben wir hier den Winkel α sowie die Verschiebung u, welche der Längenänderung Δl1 entspricht. v2 ist hier die Ankathete, da sie an dem Winkel α liegt. Die gegebene Seite Δl1 ist die Gegenkathete, weil sie gegenüber vom Winkel α liegt. Demnach wählen wir hier den Tangens:
Die Längenänderung wird in Betragsstriche gesetzt, da wir die Längen hier addieren müssen, damit wir die gesamte Verschiebung v ermitteln können.
Wir lösen nach v2 auf:
Wir können als nächstes die gesamte Verschiebung v berechnen, indem wir die beiden Verschiebungen addieren:
Da wir die Längenänderung bereits berechnet haben, können wir diese nun einsetzen:
Vertikale Verschiebung
Wir haben die Gleichungen zur Bestimmung der Verschiebung des Knotens bestimmt.
Lösung b) Verschiebung in Zahlenwerten
Nachdem wir die Gleichungen ermittelt haben, um die Verschiebung des Knotens zu berechnen, können wir als nächstes die Zahlenwerte aus der Aufgabenstellung einsetzen:
Horizontale Verschiebung:
Wir haben das Elastizitätsmodul in N/mm² gegeben, die Querschnittsfläche in cm² und die Länge in m. Wir müssen uns auf eine Einheit einigen (m, cm, mm). Wir wählen hier mm, da die Umrechnung der Länge und der Fläche sehr einfach ist:
Wir können nun alle Werte einsetzen:
Die Verschiebung des Knotens aufgrund der äußeren Belastung in horizontaler Richtung erfolgt um 0,00153mm.
Vertikale Verschiebung:
Für die Länge l2 gilt (siehe weiter oben):
Wir setzen alle gegebenen Werte ein:
Die Verschiebung des Knotens aufgrund der äußeren Belastung in vertikaler Richtung erfolgt um 0,007mm.
Anhand der Ergebnisse ist deutlich zu erkennen, dass die Verschiebung sehr klein ist. Innerhalb der Skizze hingegen wirkt die Verschiebung sehr groß. Die Verschiebung innerhalb der Skizze wurde deswegen so groß gewählt, damit die Berechnung der Verschiebung mittels Trigonometrie sichtbar wird. Je größer die eingezeichnete Verschiebung, desto einfach ist es anhand der Skizze die Berechnungen vorzunehmen.
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