Was ist das Ritterschnittverfahren?
Definition
Das Ritterschnittverfahren ist eine ingenieurtechnische Methode zur Bestimmung von inneren Kräften in Fachwerken. Durch das gezielte Schneiden des Fachwerks an drei nicht-konkurrierenden Stäben lassen sich die unbekannten Kräfte mittels statischer Gleichgewichtsbedingungen (Kraft- und Momentengleichungen) schnell und effizient berechnen. Es wird häufig eingesetzt, um die Stabilität und Belastbarkeit von Tragwerken zu analysieren.
Das Ritterschnittverfahren dient der Berechnung festgelegter Stabkräfte in einem Fachwerk anhand der drei Gleichgewichtsbedingungen der Ebene. Dazu wird ein Schnitt durch das Fachwerk durchgeführt, so dass dieses in zwei Teilen vorliegt.
Wir betrachten hier die Berechnung der unbekannten Stabkräfte mittels Ritterschnittverfahren.
Für ein optimales Verständnis helfen dir vier ausführliche Videoclips und ein anschauliches Rechenbeispiel zu dem Thema.
Mehr zu diesem Thema und der Statik findest du im Kurs: Onlinekurs TM1-Statik.
In dieser Lerneinheit schauen wir uns das Ritterschnittverfahren (auch: Ritter’sche Schnittverfahren) zur Berechnung der unbekannten Stabkräfte in einem Fachwerk an. Dabei lösen wir nachfolgende Fragestellungen:
- Wie prüft man das Fachwerk auf statische Bestimmtheit mittels Abzählformel?
- Wie berechnet man die Auflagerkräfte?
- Wie bestimmt man die Winkel von den Stabkräften zur Waagerechten mittels Trigonometrie?
- Wie ermittelt man die Stabkräfte aus den Gleichgewichtsbedingungen mittels Ritterschnittverfahren?
Ritterschnittverfahren: Beschreibung
Für die Berechnung der unbekannten Stabkräfte in einem Fachwerk, kannst du das Ritterschnittverfahren anwenden. Dazu wird das Fachwerk in zwei Teile zerlegt, indem durch die Stäbe des Fachwerks geschnitten wird. Grundsätzlich kannst du durch beliebig viele Stäbe schneiden. Damit du aber am Ende aus den drei Gleichgewichtsbedingungen der Ebene die unbekannten Stabkräfte berechnen kannst (3 Stabkräfte aus 3 Gleichgewichtsbedingungen), solltest du den Schnitt wie folgt durchführen:
Der Schnitt kann durch drei Stäbe des Fachwerks erfolgen, die nicht alle in einem Knoten liegen. Das Fachwerk muss nach dem Schnitt in zwei Teilen vorliegen. In der obigen Grafik haben wir den Schnitt durch die drei Stäbe S6, S5 und S4 durchgeführt. Damit liegen die drei Stäbe frei und können mittels der drei Gleichgewichtsbedingungen in der Ebene berechnet werden.
Unterschied zwischen Ritterschnittverfahren und Knotenpunktverfahren
Das Ritterschnittverfahren ist gerade dann von Vorteil, wenn du nur einige wenige Stäbe aus dem Fachwerk berechnen sollst.
Videoreihe: Ritterschnittverfahren
In der folgenden Videoreihe schauen wir uns an, wie mittels Ritterschnittverfahren die unbekannten Stabkräfte in einem Fachwerk berechnet werden können.
Ritterschnittverfahren
Beispiel: Ritterschnittverfahren
Schauen wir uns an einem Beispiel an, wie das Ritterschnittverfahren funktioniert.
Gegeben sei das obige Fachwerk, welches auf einem Festlager A und einem Loslager B gelagert ist. An das Fachwerk greift eine äußere Kraft F = 50 kN an.
a) Prüfe das Fachwerk auf statische Bestimmtheit mittels Abzählformel!
b) Bestimme die Auflagerkräfte.
c) Bestimme die Stabkräfte S4, S5 und S6 mittels Ritterschnittverfahren.
Statische Bestimmtheit
Wir starten mit dem Aufgabenteil a) und prüfen das obige Fachwerk mittels Abzählformel auf statische Bestimmtheit:
Abzählformel für Fachwerke
Das Fachwerk hat a = 3 Auflagerkräfte, s = 13 Stäbe und k = 8 Knoten.
Da f = 0 ist das obige Fachwerk statisch bestimmt.
Fachwerk freischneiden und Auflagerkräfte berechnen
Im nächsten Schritt müssen wir das Fachwerk von den Auflagern freischneiden und die unbekannten Auflagerkräfte abtragen:
Die Auflagerkräfte können wir mit den drei Gleichgewichtsbedingungen der Ebene berechnen:
Wir starten mit der Gleichgewichtsbedingung in x-Richtung. Da keine äußeren horizontalen Kräfte an das Fachwerk angreifen, ist die horizontale Auflagerkraft Ah gleich Null:
Als nächstes wenden wir die Gleichgewichtsbedingung in y-Richtung an, indem wir alle vertikalen Kräfte summieren. Kräfte die nach oben zeigen berücksichtigen wir positiv, Kräfte die nach unten zeigen negativ:
Wir haben hier zwei unbekannte Kräfte Av und B gegeben. Wir können aus dieser Gleichung also noch keine Unbekannte bestimmen. Demnach betrachten wir als nächstes die Momentengleichgewichtsbedingung und wählen den Bezugspunkt so, dass eine unbekannte Kraft aus der Berechnung herausfällt. Dazu legen wir den Bezugspunkt genau in den Angriffspunkt der unbekannten Kraft. Wir wählen beliebig das Lager A:
Wir lösen die obige Gleichung nach der Auflagerkraft B auf:
Einsetzen der gegeben Werte führt uns zu:
Die Auflagerkraft B muss insgesamt 75 kN aufnehmen, damit das Fachwerk sich nicht vertikal verschiebt.
Um herauszufinden wie viel die Auflagerkraft Av aufnehmen muss, können wir nun die vertikale Gleichgewichtsbedingung heranziehen und nach Av auflösen:
Die Auflagerkraft Av muss -25 kN aufnehmen, damit sich das Fachwerk nicht vertikal verschiebt. Das negative Vorzeichen gibt an, dass die Auflagerkraft entgegen der angenommenen Richtung nach unten gerichtet ist. Für die weiteren Berechnungen gehen wir aber weiterhin von einer nach oben gerichteten Auflagerkraft Av aus und müssen somit das negative Ergebnis verwenden.
Zusammenfassung der Auflagerkräfte:
Auflagerkraft | Av | Ah | B |
Betrag | -25 kN | 0 | 75 kN |
Ritterschnitt: Stabkräfte berechnen
Im obigen Fachwerk sind nach den drei bekannten Regeln keine Nullstäbe vorab ermittelbar. Es können trotzdem bei der Berechnung Nullstäbe auftreten.
Wir führen als nächstes einen Schnitt durch die drei gesuchten Stäbe durch. Diese liegen nicht alle in einem Knoten und teilen das Fachwerk in zwei Teile:
Nach dem Schnitt liegen die drei unbekannten Stabkräfte frei:
Nachdem die gesuchten drei Kräfte frei liegen, wollen wir diese als nächstes berechnen. Dazu können wir je Fachwerksteil die drei Gleichgewichtsbedingungen in der Ebene heranziehen. Wichtig ist, dass wir hier die beiden Fachwerksteile separat betrachten.
Bestimmung der Winkel mittels Trigonometrie
Bevor wir allerdings mit der Berechnung beginnen können, sollten wir zunächst die Winkel von den gesuchten Stabkräften zur Waagerechten bestimmen. Dazu konstruieren wir rechtwinklige Dreiecke so, dass wir die Trigonometrie am rechtwinkligen Dreieck anwenden können. Wir müssen dafür die gegebenen Abmessungen heranziehen.
Wir starten mit dem Winkel zur Waagerechten des Stabs S5:
Wir betrachten das obige rechtwinklige Dreieck (gestrichelte Linien) um zunächst den Winkel α2 zu bestimmen. Dieser Winkel ist identisch zum Winkel α5, da beide Stäbe auf derselben Wirkungslinie liegen. Wir können hier den Tanges anwenden, da Gegenkathete und Ankathete des rechtwinkligen Dreiecks (rechter Winkel im Knoten VII) gegeben sind:
Die Gegenkathete ist die Höhe mit 5m, die Ankathete die Länge mit 4m:
Wir lösen nach dem gesuchten Winkel auf:
Die Berechnungen von Winkel und Seiten eines rechtwinkligen Dreiecks werden ausführlich in unserem Onlinkurs Ph1 – Grundlagen der Physik behandelt.
Als nächstes betrachten wir den Winkel vom Stab S4 zur Waagerechten und betrachten dabei das folgende rechtwinklige Dreieck:
Auch hier wenden wir den Tangens an:
Auflösen nach dem gesuchten Winkel:
Unbekannte Stabkräfte bestimmen
Wir kommen nun wieder zurück zum freigeschnittenen Fachwerk, um die drei Stabkräfte an den beiden Fachwerksteilen zu berechnen. Zur Berechnung der Stabkräfte stehen uns die drei Gleichgewichtsbedingungen der Ebene zur Verfügung.
Beim Ritterschnittverfahren ist es in jedem Fall sinnvoll mit der Momentengleichgewichtsbedingung zu starten.
Für die Momentengleichgewichtsbedingung müssen wir einen Bezugspunkt wählen. Diesen müssen wir so festlegen, dass so viele unbekannte Stabkräfte wie möglich bei der Berechnung wegfallen. In diesem Fall also zwei unbekannte Stabkräfte, damit aus der Momentengleichgewichtsbedingung eine unbekannte Stabkraft berechnet werden kann.
Stabkräfte fallen dann innerhalb der Momentengleichgewichtsbedingung heraus, wenn das Moment welches sie ausüben gleich Null ist (M = F ⋅ h = 0). Dies ist dann gegeben, wenn die Wirkungslinien der Stabkräfte den Bezugspunkt schneiden!
Wir legen dazu den Bezugspunkt in den Knoten IV (rechter Fachwerksteil):
Momentengleichgewichtsbedingung (rechter Fachwerksteil)
Wir können nun die Momente bestimmen, welche die Kräfte auf den Bezugspunkt ausüben. Dabei bleiben wir am rechten Fachwerksteil, weil dort der Bezugspunkt liegt. Die Stabkräfte S4 und S5 fallen weg, da diese den Bezugspunkt schneiden. Es verbleibt eine unbekannte Stabkraft S6 sowie die gegebene äußere Kraft F. Die Wirkungslinie der Auflagerkraft B schneidet den Bezugspunkt, weshalb auch diese kein Moment ausübt und damit wegfällt.
Auflösen nach der unbekannten Stabkraft S6:
Einsetzen von F = 50 kN ergibt:
(Druckkraft)
Gleichgewichtsbedingung in x-Richtung (rechter Fachwerksteil)
Wir haben nun schon eine unbekannte Stabkraft bestimmt. Als nächstes können wir die Gleichgewichtsbedingung in x-Richtung anwenden:
Einsetzen der berechneten Winkel zur Waagerechten und berechnen des Kosinus:
Einsetzen der berechneten Stabkraft S6:
(I)
In der obigen Gleichung sind zwei unbekannte Stabkräfte gegeben. Wir können hier also noch keine unbekannte Kraft berechnen, da pro Gleichgewichtsbedingung nur eine unbekannte Kraft berechnet werden kann.
Vertikale Gleichgewichtsbedingung (rechter Fachwerksteil)
Wir betrachten als nächstes die vertikale Gleichgewichtsbedingung und berücksichtigen am rechten Fachwerksteil alle vertikalen Kräfte:
Einsetzen der Winkel:
Einsetzen der äußeren Kräfte:
Berechnung des Sinus’:
(II)
Hier haben wir nun zwei unbekannte Kräfte gegeben. Wir können nun eine der beiden Gleichungen (I) oder (II) nach einer unbekannten auflösen und in die andere Gleichung einsetzen.
Wir lösen die Gleichung (II) nach der Stabkraft S4 auf:
(II)
Einsetzen in Gleichung (I) und nach S5 auflösen:
(Nullstab)
Wir können nun noch die Stabkraft S4 aus der nach S4 aufgelösten Gleichung II bestimmen:
(Zugstab)
Wir haben nun alle Stabkräfte am rechten Fachwerksteil berechnet. In der Tabelle sehen wir nochmal die Zusammenfassung der Stabkräfte:
Stab | S4 | S5 | S6 |
Betrag | 41,67 kN | 0 kN | 33,33 kN |
Richtung | Zugstab | Nullstab | Druckstab |
Welchen Fachwerksteil wir zur Berechnung der Stabkräfte verwenden ist unerheblich. Wir können auch zwischen den beiden Fachwerksteilen wechseln, wenn das notwendig oder einfacher für die Berechnungen ist. Wir müssen aber beachten, dass innerhalb einer Gleichgewichtsbedingung auch nur Kräfte aus einem Fachwerksteil berücksichtigt werden dürfen.
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